Brauchen wir Kunst im öffentlichen Raum? Anton Knapp, ehemaliger Bürgermeister der Stadt Hüfingen, behauptet Ja. Mit seinem im November 2019 erschienenen Buch „Ist das Kunst oder muss das weg?“ (www.doldverlag.de ISBN: 978-3-948461-00-3) liefert der Fürsprecher von Kunst und Kultur im öffentlichen Raum wichtige Impulse für eine Debatte. „Dieses Buch zeigt die wirklichen Potentiale von Kunst im öffentlichen Raum auf, dabei immer ganz Nahe an der Praxis der Kommunalpolitik“, findet Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Und Uwe Zimmermann vom Deutschen Städte- und Gemeindebund schreibt: „Anton Knapp hat recht: Kunst im öffentlichen Raum stellt auch jenseits der Großstädte eine ernst zu nehmende Notwendigkeit dar. Als langjähriger Bürgermeister weiß Anton Knapp wovon er spricht. Kommunales Leben braucht Kunst und Kultur als Elixier des Miteinanders.“

Herr Knapp, welche Aufgabe hat Kunst im öffentlichen Raum?

Sie hat mehrere Aufgaben, aber die zwei wichtigsten sind aus meiner Sicht die Identifikation nach Innen und das Alleinstellungsmerkmal nach außen: Dass man sich wohl fühlt dort wo man wohnt, sich identifiert mit seinem Wohnort. Das bedeutet nicht, dass man Kunst irgenwohin stellt, nur weil es Kunst ist. Es bedeutet, dass sie auch eine Beziehung oder Bedeutung zu dem Ort haben muss, an dem sie aufgestellt wird.

Wer finanziert solche Projekte?

Ganz stark als Förderer sind die Sparkassen und Volksbanken vor Ort. Mein Petitum ist aber, dass die Kommunen da selbst noch viel mehr tun könnten und sollten, nämlich selbst in die Tasche greifen. Die kommunalen Haushalte sollten für diese Themen Gelder zur Verfügung stellen. Wenn die Verwaltungsspitzen bemüht sind, Förderer zu finden, ist man da oft nicht alleingelassen.

Wie werden solche Themen abgestimmt? Im Gemeinderat?

Es hängt von der Hauptsatzung ab. Wieviel Entscheidungskompetenz hat der Bürgermeister alleine, ab welchem Betrag muss er in einen Ausschuss oder in der Gemeinderat? Je größer die Kommune ist, desto höher sind in der Regel die Beträge.

Was kann man tun, um Kunst in den öffentlichen Raum zu holen?

Was zu selten gemacht wird, sind Wettbewerbe in kommunalen Bereichen. Da geht es z.B. um Platzgestaltungen oder Kunst am Bau. Im praktischen Teil meines Buches (Kapitel 2) gibt es da brauchbare Hinweise. Im kommunalen Bereich ist Kunst am Bau leider keine gesetzliche Pflicht. Lediglich einige Großstädte wie Dresden oder München haben die Verpflichtung zu Kunst am Bau in ihren Satzungen verankert. In den Kommunalverfassungen gibt es das leider nicht. Hier gibt es Pflichtaufgaben und Freiwilligkeitsaufgaben. Die Kunst fällt da als sogenannte Freiwilligkeitsaufgabe oft finanzpolitischen Argumentationen zum Opfer.

Wie lautet Ihr Vorschlag?

Eigentlich sollte man Kunst im öffentlichen Raum unter dem Begriff der „Daseinsvorsorge“ subsumieren. Ein Begriff, der in den kommunalen Bestimmungen verankert ist. Unter der Überschrift Daseinsvorsorge wäre Kunst im öffentlichen Raum dann kein völlig disponibles Thema mehr. Die Kommunen wären dann in gewisser Weise verpflichtet im Sinne der Daseinsvorsorge etwas zu tun. Damit wären wir einen wesentlichen Schritt weiter.

Warum reicht es Ihrer Ansicht nach nicht, Kunst in Museen zu zeigen? Diese sind in Deutschland schließlich so stark subventioniert, dass sie durchaus nicht nur einer gewissen Schicht vorbehalten ist …

Das stimmt. Es geht aber nicht nur darum sich den Eintritt leisten zu können. Die Hemmschwelle in ein Museum hinein zu gehen ist für einen großen Teil der Bevölkerung schlicht und einfach hoch. Das hat vielfältige Gründe. Kunst und Kultur dürfen nicht einer gewissen Schicht unserer Gesellschaft vorbehalten sein. Und das geht nur mit relativ niederschwelliger Konfrontation im öffentlichen Raum. Kunst ist auch ein Stück weit eine Bildungsaufgabe. Darum ist Kunst im öffentlichen Raum etwas Anderes als Kunst in Museen. Sie ist für jeden automatisch erlebbar. Nicht zuletzt auch um diesen Aspekt zu thematisieren geht es mir in meinem Buch.

Welchen Beitrag kann Kunst heute überhaupt leisten?

Sie kann soziale-, städtebauliche-, verkehrs- und bildungspolitische Aspekte bedienen. Alles Themen aus dem ersten Kapitel meines Buches. In Hüfingen gab es z.B. in den 60-er Jahren in einem Baugebiet Funde aus Alamannengräbern. Wir haben genau an der Stelle ein Kunstwerk mit Bezug zu diesem Fund aufgestellt. Hier erfährt man was über die Vergangenheit. So und ähnliche bildungs-und informationsorientierte Beispiele gilt es u.a. in Kommunen zu installieren. Das gibt Anstöße.

Kunst kann also eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart schlagen?

Ja. Der Brückenheilige von 1723 an der Breg zum Beispiel weist auf frühe christliche Kunst im öffentlichen Raum hin. So kann man viele Dinge aus Vergabgenheit und Gegenwart umsetzen, die ästhetisch und gleichzeitig bildungspolitisch ihre Wirkung entfalten.

Sehen Sie die Gefahr der Abwertung von Kunst, wenn sie im öffentlichen Raum stattfindet?

Es gibt die Gefahr von Vandalismus. Die Beobachtung und Erhaltung der Kunstwerke ist ganz wichtig. Kunstwerke dürfen nicht wochenlang verunstaltet dastehen. Sonst kehrt sich ihre Wirkung ins Gegenteil. Ein über längere Zeit verunstaltetes oder beschädigtes Kunstwerk wirkt sich für die Bevölkerung ganz allgemein abwertend hinsichtlich Kunst aus.

Wie wirken Sie dem entgegen?

Wir haben in Wettbewerben schon darauf hingewiesen, dass die Pflege relativ einfach sein muss, zum Beispiel dass die Oberfläche so beschaffen sein muss, dass Grafitti schnell entfernt werden können.

Welche Erfahrungen haben Sie in Hüfingen gemacht? Dort gibt es ja die Emil Kiess Dauerausstellung im Rathaus …

Es ist wichtig die Bevölkerung von Anfang an einzubeziehen. Gute und kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit nimmt die Bürger mit. In Hüfingen wird Kunst als Aufwertung empfunden. Auch für den Tourismus existiert eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, wobei wir wieder bei der Außenwirkung wären. Zum renommierten Maler Prof. Emil Kiess und der Dauerausstellung im Hüfinger Rathaus: auch dazu gibt es in meinem Buch eine nette Geschichte zu lesen.

Was ist die große Linie, die Zielsetzung Ihres jetzt neu erschienen Buches? 

Aufzeigen, dass Kunst und Kultur auch jenseits der sogenannten Hochkultur, also jenseits von von großen Museumsbauten, von Opernhäusern und Konzertsälen, eine gesellschaftlich nicht zu vernachlässigende Bedeutung hat. Dass kritisch zu hinterfragen ist, ob die Zuordnung von Kunst und Kultur als Freiwilligkeitsaufgabe angemessen ist. Ein Kulturbegriff, der Daseinsvorsorge für seine Bürger über die rein materielle Grundversorgung hinaus begreift, muss auch Kunst und Kultur als Pflichtaufgabe begreifen.

Das Interview führte Valerie Gerards.